Das Kopftuch Experiment in Cairo
Ich habe hier mal ein Kopftuch Experiment der etwas anderen Art gefunden.Victoria ist 22, kommt aus Berlin und ist Studentin und lebt zur Zeit für ein Jahr in Cairo in Ägypten um dort zu studieren - hier geht es zu Ihrem Victoria-in-Cairo Blog, der übrigens sehr interessant und lesenswert ist.
Sie hat das umgekehrte Experiment gewagt und hat als Ausländerin in einem muslimischen Land für ein paar Wochen Kopftuch getragen, auch wenn sie es nicht hätte tragen müssen.
Dabei hat sie die Erfahrung gemacht und machen dürfen, dass sie von den einheimischen ganz anders angenommen wird, als ohne Kopftuch, was sie letztendlich dazu bewogen hat auch nach dem Ende ihres Experiments das Kopftuch für die Dauer ihres Aufenthalts in Cairo weiter zu tragen.
Dafür hat sie echt meinen allergrößten Respekt verdient, das sie das dort ausprobiert und auch einfach durchgezogen hat - aber lest selbst....
(Im Anschluss an die drei Beiträge von Victoria noch ein paar Gedanken dazu von mir selbst dazu)
Experiment Kopftuch: Erfahrungen, Teil 1
@ 2012-01-19 – 15:59:47
Getting local
@ 2012-01-31 – 11:57:21
Das Kopftuch-Experiment, Teil 2
@ 2012-02-19 – 16:35:47
Ich finde es schon irgendwie krass, wie sehr sich die Reaktionen und das Verhalten der Leute ihr gegenüber geändert haben, nachdem sie das Kopftuch aufgesetzt hat. Sie war nun plötzlich nicht mehr die Ausländerin ohne Kopftuch - und als solche auch mehr oder weniger Freiwild für die Männer - sondern eine von Ihnen, die mit Respekt und genauso wie alle anderen behandelt wurde. Und das alles nur wegen eines Stück Stoffs und der Art sich zu kleiden. Sie war plötzlich, wie sagt man so schön - angekommen und wurde von den anderen ganz selbstverständlich als Ägypterin oder Ausländerin, die schon länger dort lebt angenommen.
Ziemlich krass fand ich natürlich den Kommentar ihrer Freundin:
Ich meine, das sie das Experiment nicht so gut fand ist ja noch okay, da kann ja jeder seine eigene Meinung zu haben, aber das eine Islamwissenschaftlerin über Frauen mit Kopftuch sagt, daß sie ihr leid tun und denkt das die Frauen es nicht freiwillig tragen, sondern dazu gezwungen würden ohne je mit Frauen mit Kopftuch darüber geredet zu haben. Ich würde sagen, da hat sie ihr Fachgebiet ein wenig verfehlt.Im Gespräch über das Kopftuch fand sie das Experiment nicht so gut. Ich fragte sie, was sie denke, wenn sie Frauen mit Kopftuch sähe, sie sagte: "Sie tun mir leid." Die Antwort fand ich krass, besonders von einer Islamwissenschaftlerin. Sie denke, dass die Frauen das nicht freiwillig trügen, sondern dazu gezwungen würden. Natürlich hatte sie noch nie mit Frauen mit Kopftuch darüber geredet. Sie meinte, sie könne nicht verstehen, warum in Deutschland lebende Musliminnen das Kopftuch nicht abnähmen. Ok, fragte ich, warum setzt du denn keins auf, wenn du hier in Kairo lebst? Antwort: Warum sollte ich?Alles klar...
Aber der Hammer ist irgendwie, daß sie einerseits nicht verstehen kann, das muslimische Frauen das Kopftuch in Deutschland nicht einfach abnehmen - es quasi sogar verlangt, dass sie es tun Aber auf die Frage warum sie denn keins trägt, wenn sie doch in Kairo lebt nur antwortet, warum sollte ich.
Ich weiß ja nicht, wenn ich für längere Zeit in einem muslimischen Land leben würde, wo ich als Ausländerin kein Kopftuch tragen müßte und auch unbedeckt gehen könnte, dann würde ich es wahrscheinlich trotzdem tragen, schon allein aus Respekt und Höflichkeit, der anderen Kultur und den Landessitten gegenüber - aber wohl auch um nicht so als Ausländerin und Touristin aufzufallen.
Ich denke allerdings mal, wenn eine Muslima hier in Deutschland ihr Kopftuch einfach mal für ein paar Wochen abnimmt und sich Jeans und Pullis anzieht, dann wird sie wahrscheinlich ähnliche Erfahrungen machen, wie Victoria, die in Kairo einfach ein Kopftuch aufgesetzt hat.
Wenn man darüber mal so nachdenkt, dann ist das schon fast irgendwie ein bißchen traurig - warum muß immer alles mit Gruppenzwang verbunden sein? Warum wird man nur anerkannt, wenn man das macht, was die breite Masse macht und gut findet: Warum kann nicht einfach jeder sein Ding machen und wird dafür dann trotzdem toleriert und akzeptiert - es sollte doch kein Problem sein, wenn sich jeder so kleidet, wie er es gern möchte - Kopftuch hin oder her.
Ich finde es auf jeden Fall toll, wie unvoreingenommen Victoria an dieses Experiment herangegangen ist und wie selbstverständlich es für sie schon nach ein paar Tagen war, Kopftuch zu tragen
Was mich vielleicht am meisten gewundert hat in dieser Zeit ist, das es für mich gar nicht komisch oder ungewohnt war. Bereits nach wenigen Tagen war es ein selbstverständlicher Teil von mir, ein Automatismus oder ein Teil meiner Identität als Frau, die in Ägypten lebt? Ich fand eher den Gedanken, es abzunehmen, komisch. Und das nach so kurzer Zeit.Ich mag ihre Einstellung und ihre Gedanken dazu - ähnlich geht es mir auch, auch wenn in Deutschland und nicht in Ägypten lebe.
Wenn ich mir also vorstelle, ich bin ein ägyptisches Mädchen von ca. 11 Jahren, bald kommt das Alter indem ich mich für oder gegen das Kopftuch entscheide. Allmählich tragen alle meine Freundinnen das Kopftuch. Da möchte ich das doch auch, ob ich im religiösen Sinne davon überzeugt bin oder nicht. Und siehe da - ich habe dadurch direkt den Status einer Frau, einer ehrenwerten Frau zudem.Das fand ich ganz besonders interessant - so habe ich das noch gar nicht gesehen, aber damit hat sie sicherlich recht: Das sich in muslimischen Ländern viele junge Frauen und Mädchen dazu entscheiden ein Kopftuch zu tragen, liegt sicher oft auch nicht nur an der Religion alleine - es ist auch so ein wenig der Gruppenzwang, die Vorbildfunktion andere Frauen und gleichaltriger Freundinnen, das zu tun und sich so zu kleiden, wie es eben in der Gesellschaft als "normal" erachtet wird. Das wird wohl auch der Grund sein, das sich hier viele junge Türkische und arabische Frauen gegen das Kopftuch entscheiden - weil es hier eben eher "normal" ist unbedeckt zu sein. Und wenn sie es tragen, dann steckt oft schon eine tiefe Verbundenheit mit der eigenen Religion dahinter - oder der Wunsch überhaupt irgendwo dazu zu gehören - oder eben auch eine sehr traditionsbewußte Familie.
Wobei man bei letzterem allerdings wieder ein wenig differenzieren muß - ich bin grundsätzlich dagegen, wenn Frauen dazu gezwungen werden das Kopftuch zu tragen - wenn es allerdings für sie okay ist, das die Familie das von ihr fordert und sie sich darin fügt und es trägt und das auch gerne macht um ihrer Familie einen Gefallen zu tun und sich wohl damit fühlt, dann ist das wieder irgendwo was anderes.
Wie dem auch sei, wichtig ist, das man sich mit dem was man macht und der Kleidung die man trägt wohl fühlt.