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Samstag, 8. Oktober 2016

Der Angriff auf mich (wg. meinem Kopftuch)


Es ist mittlerweile (leider) eigentlich normal für mich, daß von einigen Leuten blöde Kommentare oder auch Schimpfworte in meine Richtung kommen - entweder wegen dem Kopftuch oder auch einfach nur, weil ich ein Kopftuch trage.

Mal einige Beispiele:


“Kopftuchschlampe”

“Mal wieder so eine Schweißkopftuch-Trägerin”

“Geh doch nach Hause in Deine Heimat” (brauch ich nicht, bin ich schon)

“Boah, jetzt fangen auch schon deutsche Frauen an Kopftuch zu tragen - wander doch nach Arabien aus, wenn es Dir so gefällt”

“Kopftuch-Terroristin”

“Nimm den Kopflappen ab, sowas muß man hier nicht tragen”


Das sind die Sachen, die mir so spontan einfallen und auch nur die harmloseren davon. Das man sich mir gegenüber auch unhöflich verhält und mir den Platz in der Bahn vor der Nase wegschnappt, obwohl ich mich schon hinsetzen wollte (“Ihr nehmt uns schon die Arbeitsplätze und Wohnungen weg, da könnt ihr ruhig mal stehen”) mir Türen vor der Nase zumacht oder sich in der Schlange an der Kasse einfach vordrängelt (weil ich ja ein Kopftuch trage) gehört auch dazu. Oder die abfälligen Blicke, die man mir zuwirft.

Ich habe es mittlerweile akzeptiert, daß ich von einigen Leuten so behandelt werde, weil ich ein Kopftuch trage. Ich ignoriere es so gut ich kann und sehe darüber hinweg - es geht ja nicht gegen mich persönlich und sie wissen es eben auch nicht besser. Und es sind ja zum Glück auch nicht alle so - es sind immer nur einige wenige, die sich so verhalten, aber man ärgert sich halt trotzdem drüber. Und so sehr man auch versucht es zu ignorieren, es bleibt trotzdem immer etwas hängen.

Ich erfahre im Moment am eigenen Leib, wie es in Deutschland zur Zeit Ausländern und insbesondere Frauen mit Kopftuch (die es aus religiösen, kulturellen oder persönlichen Gründen tragen) bei uns hier ergeht. Und das finde ich ungemein traurig, beschämend und peinlich. Ich fühle mich manchmal als wenn ich nicht mehr dazu gehöre und keine von Euch mehr bin, obwohl ich einen deutschen Pass habe und Christin bin - und das nur, weil ich mich vor 16 Jahren, wo noch kein Hahn danach gekräht hat, aus persönlichen Gründen dazu entschieden, ein Kopftuch zu tragen.

Mittlerweile ist es ein Teil von mir geworden und ich denke nicht daran, es jetzt wieder abzulegen, nur weil sich einige dumme Menschen so verhalten. Es gefällt mir es zu tragen und mich so zu kleiden und das ich deswegen so behandelt werde, gehört halt mittlerweile (leider) auch dazu. Dabei habe ich ja eigentlich unter anderem damit angefangen ein Kopftuch zu tragen und mich so zu kleiden, damit man mich eben nicht nach meinem Aussehen, meinen Haaren, meiner Frisur, meinem Körper oder meiner Figur beurteilt, sondern mich nur als Mensch und Frau sieht und mich eher an dem mißt, was ich sage und tue und nach meinet Persönlichkeit und meinem Charakter beurteilt und daran mißt. Allerdings ist der Mensch nun mal Oberflächlich und da all dies ein näheres kennenlernen erfordert und man von mir nur meine Hände und mein Gesicht sieht (was zur Interaktion mit anderen völlig ausreicht) muß halt meine Kleidung für eine Beurteilung herhalten. Sicher, die meisten nehmen es vollkommen Wertungsfrei hin, das ich ein Kopftuch und Muslima-Mode trage - aber andere assoziieren das gleich mit: Muslima, Islam, Terrorismus, Unterdrückung, Rückständigkeit, konservativ, ungebildet, dumm, fanatisch, usw. Und urteilen so (unbewusst) doch über mich ohne mich in irgendeiner Weise zu kennen.

Soweit so gut.


Vor sechs Monaten schon, im April also, ist mir allerdings etwas passiert, was absolut zu weit ging und nicht okay ist. Mit bösen Blicken, absichtlichen Unhöflichkeiten und abfälligen Bemerkungen und Schimpfworten kann ich leben, das geht nicht gegen mich persönlich, das geht gegen das Kopftuch und gegen das, für das es in Köpfen dieser Leute steht. Aber wenn ich wegen meines Kopftuchs köperlich angegriffen werde, dann geht das zuweit, denn DAS geht dann gegen mich persönlich, ganz egal, weswegen es ist.

Es war einer der ersten schönen warmen Tage im April und ich hatte mir nach der Arbeit noch ein Eis geholt und bin damit durch die Stadt geschlendert. Plötzlich sah mich ein Typ, der mir entgegen kam mit wütendem Blick an und rief “Das darf doch nicht wahr sein!” und kam mit schnellen Schritten auf mich zu. Bei mir angekommen fing er an mich zu beschimpfen und auf mich einzureden. Alles hab ich nicht mehr in Erinnerung, ich war viel zu verdattert um mir den ganzen Schwachsinn, den er da von sich gab zu merken. Nur eins weiß ich immer noch, er sagte sowas wie:

“Es ist kein Wunder, daß die Islamisierung unseres Vaterlandes immer weiter fortschreitet, wenn jetzt sogar schon unsere deutschen Frauen anfangen Kopftuch zu tragen. Nimm den Fetzen ab Du Schlampe, sowas mußt Du hier als Deutsche nicht tragen.”

Worauf ich entgegnete:

“Ich bin keine Muslima und ich trage das Kopftuch freiwillig, weil ich es tragen möchte und weil ich es schön finde und es mir gefällt.”

Das machte ihn dann wohl richtig sauer und er brüllte: “Lügnerin!”

Und eh ich’s mich versah, griff er hinter meinen Kopf und riss mir mein Kopftuch runter. Da ich an diesem Tag einen Pashmina-Schal als Kopftuch gewickelt trug, welches zum einen mit Haarklemmen und Nadeln am Untertuch festgeklippt und festgesteckt war und welches durch die Binde- bzw. Wickeltechnik auch zweimal vorne am Hals lang ging, riss er mir nicht nur das Untertuch mit runter, wobei ich auch einige Haare ließ, was ziemlich weh tat - nein, durch den Schwung riss er mich fast um und da er mir das Tuch ganz entreißen wollte und weiter dran zog würgte er mich auch noch.

Eine Gruppe von drei Mädchen um die 19 schrie ihn gleich an er solle das lassen wodurch ein junger Mann Mitte 20 auf das Geschehen aufmerksam wurde, dem Typen ne Kopfnuss verpasste und ihn von mir weg stieß.

Da packten mich dann gleich die drei Mädels und zogen mich in einen Hauseingang und stellten sich dann schützend vor mich. Die eine meinte ganz cool: “Bind Dir erstmal Dein Kopftuch wieder um, wir passen solange auf das keiner guckt.” Kramte dann in ihrer Handtasche und zog einen Spiegel heraus, den sie mir dann hinhielt.

Derweil versuchte der junge Mann den Spinner festzuhalten, der riss sich aber los und tauchte in der Menge unter, weil er sich bewußt war, wieviel Aufmerksamkeit er erregt hatte. Der junge Mann verfolgte ihn zwar noch, verlor ihn aber im Gedränge der Fußgängerzone schnell aus den Augen. Schließlich kehrte er zurück und erkundigte sich ob mit mir alles in Ordnung sei und ob er noch als Zeuge gebraucht wird. Ich bedankte mich bei ihm das er eingegriffen hatte, meinte aber daß ich wohl keine Anzeige erstatten werde, da es wohl eh nix bringt. Er schrieb dann noch für alle Fälle seine Nummer auf und entschuldigte sich dann daß er weiter muß.

Die Mädchen blieben noch bei mir stehen und nach einer kurzen Unterhaltung stellte sich raus, daß sie im gleichen Stadtteil wohnen und sie boten sich an mich nach Hause zu begleiten, sie wären mit ihrem Einkaufsbummel eh durch.


Auf dem Heimweg regten sich die drei immer noch über Typen auf und wie er das einfach machen konnte. Eine von den dreien hatte mitbekommen, daß ich gesagt habe, daß ich keine Muslima bin und fragte wie ich das gemeint hätte, wo ich doch ein Kopftuch trage und mich auch so anziehe. Und so erzählte ich ihnen meine Geschichte, wie ich zum Kopftuch gekommen bin - die Kurzform zumindest. Die drei waren zwar etwas erstaunt, fanden es aber cool und waren zugleich fasziniert, daß jemand ein Kopftuch trägt ohne eine Muslima zu sein.

Bei mir zu Hause angekommen fragte ich die drei, ob sie nicht noch auf einen Kaffee mit reinkommen wollen. Zum einen weil ich ihnen echt dankbar war, daß sie sich um mich gekümmert haben und zum anderen weil wir uns gerade so gut unterhielten.

Sie kamen gern noch mit rein und ich machte Kaffee und trieb auch noch Kuchen auf. Als der Tisch gedeckt und der Kaffee fertig war, kam meine Frau, die schon zu Hause war, frisch geduscht und in Leggings und Bluse aus dem Bad, sah uns an und meinte eher neugierig als Vorwurfsvoll “Was ist denn hier los?” Und als sie mein etwas zerrupftes Kopftuch sah fragte sie, “was ist denn mit Dir passiert?” Die Mädchen waren nicht weiter überrascht - ich hatte ihnen unterwegs schon erzählt, daß ich mit einer Frau zusammen lebe und auch mit ihr zusammen bin.

Aber bevor ich noch antworten konnte, fing die coole mit dem Spiegel schon an zu erzählen was in der Stadt passiert war und das sie mich danach vorsichtshalber nach Hause gebracht haben.

Dafür bedankte meine Frau sich bei den dreien war aber wegen des Vorfalls in der Stadt sichtlich besorgt.

Die Mädchen blieben noch eine Weile und wir unterhielten uns über alles mögliche. Nachdem wir dann beschlossen hatten, daß sie gerne mal wieder zum Kaffee oder so kommen können und wir gerne mal was zusammen unternehmen können, tauschten wir noch unsere Nummern aus und die Drei gingen nach Hause.

Danach hatte ich dann eine sehr ernste Unterredung mit meiner Ehefrau, die bis tief in die Nacht ging. Ich nahm diesen Angriff eher auf die leichte Schulter, solche Idioten gibt es immer und überall - und was blieb mir auch anderes übrig, ich muss ja weiter so rausgehen, also was bringt es mir da Angst zu haben oder mir Sorgen zu machen, damit mache ich mir das Leben mit Kopftuch doch nur unnötig schwer. Aber meine Frau war verständlicherweise sehr besorgt um mich. Und ihrem Argument: “Was ist, wenn Dich der nächste ‘Spinner’ absticht, zusammenschlägt oder vergewaltigt, statt Dir “nur” Dein Kopftuch runter zu reißen oder Du an eine ganze Gruppe von solchen Spinnern gerätst?” hatte ich nicht viel entgegen zu setzen, denn sie hatte ja recht, SOWAS konnte durchaus passieren.

Wir diskutierten an dem Abend alle Möglichkeiten, was man tun könnte um sowas in Zukunft zu vermeiden oder darauf besser vorbereitet zu sein.

Das Kopftuch ganz abzulegen war auch eine der möglichen Optionen, aber das möchte ich eigentlich nicht, noch ist es hier nicht so schlimm, daß eine Frau deswegen ernsthaft in Gefahr ist, das könnte man überlegen, wenn es hier noch schlimmer mit diesem Islamophobie-Ding wird. Nein, ich will mein Kopftuch weiter tragen, ich habe mich dafür entschieden es zu tragen und fühle mich auf Grund meiner Entscheidung dafür auch dazu verpflichtet es weiterhin zu tragen. Und es gibt auch noch viele andere gute Gründe warum ich damit nicht wieder aufhören will - ich fühle mich halt einfach gut und wohl damit. Und wenn ich erst einmal eine Weile damit aufgehört habe, wird es sicher auch schwer oder gar unmöglich einfach so wieder damit anzufangen. Zum Beispiel auf der Arbeit, aber sicher auch im Freundes- und Bekanntenkreis - dazu hab ich zu hart dafür und daran gearbeitet, daß mich alle so akzeptieren wie ich bin - eben halt ein Kopftuchmädchen.

Und meine Frau möchte ehrlich gesagt auch nicht, daß ich aufhöre es zu tragen, dazu ist es viel zu reizvoll und zu faszinierend für sie, daß ich es trage. Sie findet es toll, daß ich ein Kopftuch trage, ihr gefällt es und sie findet es hübsch an mir. Und auch wenn es nicht zugeben will, so hat es doch einen ganz besonderen Reiz für sie, daß Männern der Blick auf meinen Körper und der Genuss meines kompletten Anblicks verwehrt bleibt und sie mich nur in langer Kleidung und mit Kopftuch sehen können / dürfen. Aber seien wir mal ehrlich, wer träumt nicht davon, daß der Anblick seiner / ihrer Liebsten nur ihm / ihr allein gehört? Sie halt das Glück mit einem Kopftuchmädchen zusammen zu sein und so als Lesbe den Anblick ihrer Liebsten nicht mit evtl. interessierten Männern teilen zu müssen. Wenn ich mein Kopftuch abnehme, weiß sid mit Sicherheit daß mich so schon lange kein Mann mehr gesehen hat und auch nicht sehen darf. Wenn sie das mit Männern teilen müßte, würde uns beiden was fehlen - und ich müßte damit leben mich den ganzen Tag von Männern anglotzen zu lassen, wovon vermutlich jeder 2. bis 3. irgendwelche Hintergedanken hat und bei dem was er sieht irgendwas findet, woran er sich 'aufgeilen’ und da hab ich keine Lust drauf - das mag ich nicht.

Also, das Kopftuch abzulegen wäre für uns beide keine Option, erst recht nicht für mich als Betroffene.

So diskutierten wir dann weiter.



Ich habe einige etwas längere Perlenketten, mit einem Kreuz dran, die ich mir extra besorgt habe, damit ich sie über der Kleidung zu meinem Kopftuch tragen kann und das Kreuz somit gut sichtbar ist. (Eine dünne Kette mit einem Kreuz dran sieht man meist nicht, da sie von Kleidung und / oder Kopftuch bedeckt wird.) Da eine Muslima so eine Kette mit einem Kreuz, als Symbol des Christentums, dran, niemals tragen würde, bat sie mich, eine davon immer gut sichtbar zu tragen, damit der nächste Spinner, sofern das Kreuz sieht und denken kann sich dann vielleicht Gedanken macht, daß da bei mir was anders ist - sofern er denken kann.

Das war die erste Maßnahme, die wir beschlossen haben. Und ich sehe an den Blicken der Leute oft, daß es ihnen wohl aufzufallen scheint, denn einige sehen erst das Kreuz und sehen dann zu meinem Kopftuch und auf meine Kleidung und schauen mir dann ins Gesicht, wohl in der Hoffnung dort eine Antwort zu finden. Aber sorry, wer mich nicht drauf anspricht oder fragt, wird da wohl vergeblich warten.

Ich bin aber in der Tat schon des öfteren darauf angesprochen worden. Meistens von Musliminnen - mit ohne Kopftuch. Entweder fragen sie einfach warum ich ein Kreuz und ein Kopftuch trage oder sie kommen an: “Entschuldigung Schwester, Du weißt aber schon, daß Du das Kreuz nicht tragen darfst?!” Wenn ich dann aber erkläre, daß ich Christin bin und mich vor Jahren schon dazu entschieden habe ein Kopftuch zu tragen, weil es mir gefällt eins zu tragen und weil mir auch die Gründe warum getragen wird gefallen und zusagen, kommt oft nur ein “Ach so, dann ist es ja okay. Find ich toll, daß Du das machst.” Es hat sich deswegen bisher kaum eine negativ geäußert, die meisten sind eher überrascht und erstaunt, daß sich eine deutsche Christin dazu entschließt ein Kopftuch zu tragen, obwohl sie es gar nicht müßte und sich mit dieser Entscheidung - Kopftuch ja oder nein - normalerweise auch gar nicht beschäftigen muß. Von deutschen werde ich auch manchmal drauf angesprochen, aber die sind da meistens nicht so Verständnisvoll, verdrücken sich dann aber auch zum Glück meist schnell mit einem Kopfschütteln.

Das zweite worauf wir uns geeinigt hatten, war, daß ich bis auf weiteres immer direkt zur Arbeit fahre und auch auf direktem Wege wieder nach Hause komme, ohne noch nach der Arbeit irgendwelche Besorgungen zu machen - es sei denn es läßt sich nicht vermeiden und ich brauche irgendwas noch ganz dringend.

Vor zwei Monaten stellte sich dann in einer Unterhaltung, mit einer Nachbarin ein paar Häuser weiter, wo meine Frau auch mit dabei war, heraus, das sie nur ein paar Straßen weiter arbeitet und wir fast die gleichen Arbeitszeiten haben. Da wir ihr vorher schon von dem Kopftuch-Angriff erzählt haben, bot sie an, daß wir doch morgens und abends zusammen fahren können - sie bringt mich morgens zur Arbeit und holt mich auch abends wieder ab, dafür müsste sie zwar eine Station früher aussteigen, aber das ist kein Problem. So bin ich dann wenigstens nicht allein unterwegs. Klappt auch alles soweit ganz gut und wenn ich nach der Arbeit noch Besorgungen machen will, dann ist das oft auch kein Problem, da sag ich dann morgens Bescheid und dann begleitet sie mich noch bevor wir nach Hause fahren. Wir haben uns mittlerweile auch schon angefreundet.

Dieser Begleitservice ist ganz praktisch, denn das dritte, worauf wir uns geeinigt haben ist, daß ich, auch bis auf weiteres, nicht mehr alleine, ohne Begleitung, in die Stadt fahre, denn wenn man nicht allein ist und noch eine Begleitperson dabei ist, dann ist natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, daß man angegriffen wird wesentlich geringer, denn wenn man nicht allein ist, dann trauen sich solche Spinner solche Aktionen gar nicht erst. Meine Frau hat es mir förmlich verboten allein in die Stadt zu fahren oder dahin wo viele Leute sind und die Gefahr relativ hoch ist, daß etwas passiert.

Klar, wenn ich eine Freundin besuchen will oder zum Supermarkt um die Ecke oder hier im Viertel ein wenig spazieren oder joggen gehen will, dann kann ich natürlich auch alleine gehen. Wenn ich aber in die Stadt zum shoppen will, soll ich nicht mehr alleine fahren. Normalerweise begleitet meine Frau mich, wenn sie aber mal nicht da ist, keine Zeit hat, keine Lust oder was anderes vor hat, dann kommen meine Mutter, meine Schwester oder eine von unseren Freundinnen mit, die sich netterweise bereit erklärt haben, mich zu begleiten, wenn ich mal in die Stadt möchte.

Wenn sich mal niemand findet, die mit mir kommt, dann muss ich leider zu Hause bleiben. Natürlich könnte ich zur Not auch alleine fahren, aber ich respektiere den Wunsch meiner Frau nicht mehr alleine ohne Begleitung in die Stadt zu fahren, wo viele Leute sind und somit auch viel passieren kann. Und deswegen halte ich mich auch an ihr Verbot, alleine in die Stadt zum shoppen zu fahren.

Ich sehe das nicht als Unterdrückung an, es ist höchstens eine Bevormundung, die aber ja nur zu meinem Besten ist, meine Frau macht sich halt Sorgen um mich und meine Sicherheit und will nur auf Nummer Sicher gehen. Irgendwann werden wir das auch wieder lockerer handhaben.

Aber es hat auch seine Vorteile: wir unternehmen jetzt mehr zusammen und sprechen uns jetzt mehr ab, wegen gemeinsamer Unternehmungen oder zum shoppen oder bummeln in die Stadt zu fahren. Und ich unternehme jetzt auvh wesentlich mehr mit meiner Mutter, Schwester oder Freundinnen, da ich ja alleine nicht weg darf bzw. soll. Es hat also auch seine Vorteile.

Es ist ärgerlich, daß ich wegen so einem Idioten quasi Hausarrest habe und nur noch mit Begleitschutz und Escortservice in die Stadt darf, auch wenn es nur zu meinem Besten und zu meinem Schutz ist. Ich bin nur froh, das hier bei uns noch nie was passiert ist - oder unterwegs, wenn ich meine Mutter, meine Schwester oder Freundin besucht habe, sonst würde meine Frau mich alleine gar nicht mehr vor die Tür lassen. Aber wie gesagt, sie macht sich halt nur Sorgen - ich nehme das ja eigentlich eher auf die leichte Schulter und wenn es nach mir ginge, dann hätte sich wegen diesem Kopftuch-Runterreißer bei mir nichts geändert, Idioten gibt es halt überall - aber meine Frau ist da halt vorsichtig und Überfürsorglich und das muß ich eben akzeptieren und respektiere das auch.

Es ist halt nur so traurig, daß ich mich als Deutsche in meinem Heimatland nicht mehr sicher fühlen kann, nur weil ich mich so kleide wie ich will und wie ich mich persönlich am wohlsten fühle. Und DAS nur wegen anderer deutscher Mitbürger, die in mir nur wegen meiner Kleidung eine Bedrohung sehen ohne daß ich oder sonst eine Frau mit Kopftuch ihnen je etwas getan hätte.

Und ich werde letzten Endes durch solche Vorsichtsmaßnahmen, wie sie meine Frau und ich beschlossen haben, auch noch dafür bestraft, weil sie viele Umstände machen und mich in meiner Freiheit und Freizügigkeit einschränken - auch wenn es den Vorteil hat, daß ich jetzt mehr mit meiner Frau und meinen Freundinnen unternehme und daß ich neue Leute kennengelernt habe, wie die drei Mädchen, die mich nach dem Angriff nach Hause gebracht haben (und zu denen ich immer noch Kontakt habe) oder meine Nachbarin, die mich täglich zur Arbeit und wieder nach Hause begleitet.

Dieses nicht mehr allein in die Stadt dürfen oder mich zur Arbeit begleiten und abholen lassen, war mir zuerst natürlich irgendwie peinlich, aber nachdem ich mich dran gewöhnt habe ist es schon irgendwie ganz nett. Dieser Kopftuch-Runterreißer war an dem ganzen - zumindest für mich - eigentlich das geringere Übel, schlimm sind eigentlich eher die Folgen, die das letzten Endes hatte, auch wenn das nur zu meinem Besten ist und weil meine Frau sich Sorgen um mich macht. Natürlich haben diese Folgen auch ihre positiven und angenehmen Seiten, die ich nicht von der Hand weisen kann und will.

Es ist halt nur schade, daß man wegen solch verkorkster Idioten solche Vorsichtsmaßnahmen überhaupt ergreifen muß und sich als Frau nicht mehr so kleiden kann, wie man es will und möchte - und man, wenn man es doch tut, sich um seine Sicherheit sorgen muss. Ich möchte nun mal ein Kopftuch tragen, aber das ist meine eigene ganz persönliche Sache und mein eigenes Problem - was geht das solche Spinner an? Und darf ich, nur weil ich Deutsche bin, kein Kopftuch tragen? Hab ich da irgendwas verpasst oder übersehen?!

Ich werd da echt nicht schlau drauß, was in den Köpfen dieser Leute vorgeht. Ich weiß nur, daß es vor PEGIDA, AfD und der gesteigerten Islamophobie hier in Deutschland, undenkbar gewesen wäre das mir irgendwas passiert, oder das überhaupt jemand auf die Idee kommt mir in der Öffentlichkeit einfach mein Kopftuch runter zu reißen. Das hätte sich keiner getraut - vor allem was sollen die Leute von so einem Typen denken? Das ist einigen Leuten ja durchaus nicht unwichtig. Aber mittlerweile haben solche Leute vermutlich die Vorstellung, daß sie wegen solch feiger Aktionen von den Umstehenden als Held gefeiert werden und sich so irgendwie profilieren können, weil sie ja der sind, der endlich was unternimmt. Nur gegen was? Dagegen das eine brave deutsche Frau Kopftuch trägt?! Scheint für einige undenkbar zu sein. Oder geht es dabei einfach nur darum eine Kopftuchträgerin zu demütigen, indem man ihr das Kopftuch runterreißt um sich selbst toll zu fühlen?


Aber allen Schwierigkeiten zum Trotz, genieße ich es immer noch anders zu sein und mit dem Kopftuch-tragen etwas für mich entdeckt zu haben, was mir gefällt, was ich schön finde und wo ich mich wohl bei fühle.
Und was andere Frauen, die wie ich Deutsche und Christin sind, eben nicht so ohne weiteres machen bzw. tragen und anziehen würden. Und auch wenn das Kopftuch hier bei uns oft von muslimischen Frauen getragen wird so ist es doch etwas anderes und "besonderes", wenn es eine Frau trägt ohne eine Muslima zu sein.
Ich mag meine Muslima-Mode und mein Kopftuch und trage beides nach wie vor sehr gerne - und das werd ich mir von solchen Idioten auch nicht vermiesen lassen, selbst wenn ich deswegen nicht mehr alleine weg darf - zumindest nicht mit Kopftuch, aber da ich nicht raus gehen will ohne eins zu tragen, geht es halt für's erste nur noch in Begleitung, was wie gesagt ja auch seine schönen und positiven Seiten hat.
Als ich mich dazu entschieden habe ein Kopftuch zu tragen, habr ich mich dazu entschlossen es mit allen Konsequenzen zu tragen, die es eben so mit sich bringt ein Kopftuch: Regeln, Vorschriften,  Einschränkungen (bei der Kleidungsauswahl und im Alltag), aber auch Diskriminierung und Ablehnung. Letzteres gab es am Anfang kaum, das ist erst in den letzten paar Jahren so extrem geworden. Und ich hoffe wirklich, das die Deutschen wieder normal und toleranter werden, damit ich mich trotz meines Kopftuchs wieder sicher fühlen kann.
Denn auch wenn ich keine Muslima bin (und eine Deutsche) so bin ich doch ein Kopftuchmädchen und möchte das aus vielerlei Gründen gerne bleiben, ohne deswegen Probleme zu haben oder Angst vor Übergriffen haben zu müssen.


Bildidee: Lady Bitch Ray © Columbus