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Freitag, 30. November 2012

Victoria in Cairo - Ein etwas anderes Kopftuch Experiment

Das Kopftuch Experiment in Cairo

Ich habe hier mal ein Kopftuch Experiment der etwas anderen Art gefunden. 
Victoria ist 22, kommt aus Berlin und ist Studentin und lebt zur Zeit für ein Jahr in Cairo in Ägypten um dort zu studieren - hier geht es zu Ihrem Victoria-in-Cairo Blog, der übrigens sehr interessant und lesenswert ist.
Sie hat das umgekehrte Experiment gewagt und hat als Ausländerin in einem muslimischen Land für ein paar Wochen Kopftuch getragen, auch wenn sie es nicht hätte tragen müssen.
Dabei hat sie die Erfahrung gemacht und machen dürfen, dass sie von den einheimischen ganz anders angenommen wird, als ohne Kopftuch, was sie letztendlich dazu bewogen hat auch nach dem Ende ihres Experiments das Kopftuch für die Dauer ihres Aufenthalts in Cairo weiter zu tragen. 
Dafür hat sie echt meinen allergrößten Respekt verdient, das sie das dort ausprobiert und auch einfach durchgezogen hat - aber lest selbst....
(Im Anschluss an die drei Beiträge von Victoria noch ein paar Gedanken dazu von mir selbst dazu)
  • Experiment Kopftuch: Erfahrungen, Teil 1

    Ganz großes Thema in Deutschland: das Kopftuch! Das symbolische Kleidungsstück schlechthin. Und dazu ist es ja auch gedacht: ich habe gelesen, dass man in den frühen islamischen Reichen muslimische Kleidung für Nichtmuslime verbot, um Muslime schnell erkennen zu können.
    Also mache ich mich auf zum ultimativen Test. Ich möchte ein paar Wochen lang Kopftuch tragen und einfach beobachten. Wie reagieren die Leute (ägyptische Freunde, deutsche Bekannte, Fremde auf der Straße)? Was ist anders? Wie fühle ich mich? Welche Diskussionen ergeben sich vielleicht dadurch?
    Nach einer halben Woche bin ich erstaunt. Es ist tatsächlich unglaublich anders. Erst einmal hat sich mir ein ganz neues Universum eröffnet: Kopftuch ist eben nicht gleich Kopftuch. Es gibt unzählige Wege es zu binden, zu stylen, zu legen, zu befestigen. Es gibt Tücher in allen Farben, Mustern, Materialien, nicht zu vergessen die wichtigen Untertücher.
    Viel interessanter waren und sind aber die Reaktionen der Leute. Ein paar Beobachtungen möchte ich notieren:
    Die Menschen starren mich nicht mehr an, sie schauen nicht mal. Ich erkläre mir das so, dass sie das Tuch sehen und mich sofort in die Schublade "Ägypterin - eine von uns - ganz normal" einordnen und der Fall ist erledigt. Viele halten mich für eine Ägypterin. Alle Menschen sprechen mich auf Arabisch an (was vorher nicht der Fall war). Niemand sagt mehr "welcome". Man spricht respektvoller mit mir, man flirtet weniger. Ich bin eine von ihnen, durch ein Stück Stoff. Dabei ist alles andere an mir genauso europäisch wie vorher: blaue Augen, helle Haut, europäische Gesichtszüge.
    Taxifahrer, Polizisten, Verkäufer sprechen nur noch arabisch mit mir, einige fragen mich ob ich verheiratet bin und ob ich Muslimin bin.
    Meine Freunde sind geteilter Meinung. Die meisten waren überrascht, aber sagten alle es sei sehr hübsch. Ein Freund sagte, er hasse das Kopftuch insgesamt, also fände er es auch scheiße wenn ich es trage. Viele machen sich darüber natürlich lustig und reden mich mit muslimischen Ehrentiteln an (Scheich, Pilgerin, Schwester). Einige wenige sagen, dass es besser aussieht als vorher, da sie Kopftuch generell besser finden, sozusagen angezogener (so wie wir nicht mit nacktem Körper rumlaufen, sollten wir auch nicht mit nackten Haaren rumlaufen). Noch mehr ist mir aufgefallen im Umgang mit Freunden: sie sagen jetzt (im Witz), dass ich bestimmte Dinge nicht machen kann mit Kopftuch (Männer mit Küsschen begrüßen, über Sex reden, fluchen).

    Interessant waren auch die Begegnungen mit anderen Ausländern. Als ich mir unbeannte Ausländer, Franzosen, traf, waren diese sehr distanziert. Dass ich Kopftuch trage, europäisch aussehe und aus Deutschland komme, das ist verwirrend. Ich konnte deutlich die Unsicherheit sehen, sie wussten nicht wo sie mich einordnen sollen.
    Insgesamt war das Verständnis für das Experiment eher gering. Eine deutsche Freundin hat mich gar nicht erkannt. Ich saß 5m von ihr entfernt und habe gewunken, sie sah mich nicht. Im Gespräch über das Kopftuch fand sie das Experiment nicht so gut. Ich fragte sie, was sie denke, wenn sie Frauen mit Kopftuch sähe, sie sagte: "Sie tun mir leid." Die Antwort fand ich krass, besonders von einer Islamwissenschaftlerin. Sie denke, dass die Frauen das nicht freiwillig trügen, sondern dazu gezwungen würden. Natürlich hatte sie noch nie mit Frauen mit Kopftuch darüber geredet. Sie meinte, sie könne nicht verstehen, warum in Deutschland lebende Musliminnen das Kopftuch nicht abnähmen. Ok, fragte ich, warum setzt du denn keins auf, wenn du hier in Kairo lebst? Antwort: Warum sollte ich?
    Alles klar...

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  • Getting local

    Ich weiß nicht genau was sich verändert hat oder wie die Leute das an mir erkennen, aber ich bin definitiv jetzt ganz anders angenommen als am Anfang. Wo ich doch zuerst so Probleme mit Belästigung, Rassismus oder so zu tun hatte, geht man mit mir nun völlig normal und respektvoll um - und das auch bevor ich das Kopftuch getragen habe, seit Anfang Dezember circa. Ich kann jetzt gar nicht mal sagen, wann mich das letzte Mal jemand angemacht hat. Ich scheine nun irgendwas auszustrahlen, was sagt, dass ich hier schon länger wohne.
    Was hat sich verändert?
    Ich werde kaum mehr als Ausländerin angesprochen, oft spricht man mich ganz normal auf Arabisch an. Beim Einkaufen auf dem Markt oder beim Bestellen im Restaurant darf ich nicht mehr mit einer Sonderbehandlung als Ausländerin/Touristin rechnen, man spricht mit mir wie mit Ägyptern auch.
    Im Café bin ich definitiv endgültig respektiert. Ich bin nicht mehr die Besucherin, sondern ich gehör für alle fest zu einer Gruppe. Der Kellner spricht mit mir auf Arabisch, macht Witze mit mir, begrüßt mich mit Handschlag und nennt mich vertrauenswürdig "Prinz", eine Anrede des freundschaftlichen Respekts. Andere Besucher des Cafés versuchen sich meine Präsens so zu erklären: es wird behauptet ich wäre die Schwester meines Freundes, weil wir so gleich aussähen (er hat grüne Augen, ich blaue - da muss Verwandtschaft bestehen).
    Ich benutze nun öffentliche Verkehrsmittel ohne Probleme und völlig ägyptisch. Es gibt nämlich durchaus ein System, das halt fürs Ausländer nur nicht so leicht zu durchschauen ist. Mikrobusse fahren bestimmte Routen ab und das tagsüber super regelmäßig. An bestimmten Stellen sind Haltestellen, sie sind leider nicht gekennzeichnet, also entweder man weiß es oder man stellt sich zu vielen Leuten an den Straßenrand. Natürlich kann man Mikrobusse auch zwischendurch anhalten. Da sowieso fast immer Stau ist, hält man ja eh häufiger. Der Mikrobusfahrer ruft sein Fahrtziel (Stadtteil oder Institution/Platz/...) laut nach draußen. Zudem gibt es Zeichen, die die gewünschte Fahrtrichtung angeben. Man stellt sich also an die Straße und macht mit seinen Fingern das entsprechende Zeichen, und die Leute verstehen! Mit etwas stolz kann ich sagen - ich kann sie alle. Diese Zeichen haben mir größten Respekt eingebracht. Überhaupt werde ich in Mikrobussen immer höchst korrekt und respektvoll behandelt. Als ein religiös anmutender Mann ein Blick auf mein Vokabelheft warf, drückte er seinen Respekt aus, dass ich diese Sprache lerne und wünschte mir weiterhin viel Glück. Eine Frau sagte, sie hätte mich schon mal in der Metro gesehen. Alte Frauen nennen mich oft "Habibi" (Schätzchen), sehr ägyptisch.
    Was noch? Achja, ich rede mit Taxifahrern auf arabisch, gelegentlich ergeben sich ganze Konversationen. Und am Ende macht der Taxifahrer dann eine höchst ägyptische Geste: er sagt, ich brauche nicht bezahlen, er schenke mir die Fahrt. Das ganze ist ein Spiel, das Respekt und Großzügigkeit auf beiden Seiten ausdrücken soll. Natürlich ist die Fahrt nicht wirklich umsonst, ich insistiere also, er schwört mir, dass ich nicht bezahlen brauche, ich insistiere, er nimmt das Geld, wir beide bedanken uns überschwenglich. Ich kenne das Spiel, und der Taxifahrer traut mir zu, das Spiel zu kennen.
    Leute fragen mich nach dem Weg, auf arabisch. Und ich antworte...schließlich kenne ich die Stadt ;)
    Spannende Entwicklung: Am Anfang kamen die Menschen auf mich zu und fragten, ob sie mir den Weg erklären könnten, jetzt fragen sie mich ob ich IHNEN den Weg erklären kann.
    Letztens war ein Ägypter ganz überrascht, als ich sagte ich sei Deutsche: "Oh, ich dachte du seist Ägypterin, dein Style ist so ägyptisch" Dabei trage ich die gleichen Klamotten wie immer... Anscheinend sieht man es jemandem also an, ob er dazu gehört und sich auch selbst zugehörig fühlt oder nicht.
  • Das Kopftuch-Experiment, Teil 2

    Vor ca. 2 Wochen habe ich mein Kopftuchexperiment offiziel beendet, tatsächlich und konsequent abgelegt habe ich es allerdings bis heute nicht. Wie kommt's?
    Zunächst noch einmal ein paar Erfahrungen mit Kopftuch:
    Ich habe meinen ultimativen Kopftuchstil gefunden: es heißt Spanish-Style und sieht etwa so aus:
    Spanish Style Kopftuch

    Das passt besser zu mir als die traditionelle, eher konservative Weise, mit der ich dann oft als europäische Konvertitin durchgegangen bin. So haben mich tatsächlich einige für ägyptisch gehalten ("Ah, du bist gar keine Ägypterin?!" - "Aber ich seh doch total europäisch aus?!" - "Naja, aber dein Style ist so ägyptisch...")
    In unserm Stammcafé hielten mich viele für die Schwester meines Freundes gehalten (beide helle Augen, das kann kein Zufall sein...).
    Im Alltag wurde ich als Ägypterin oder als Ausländerin, die schon lange hier lebt und also als eine von ihnen gilt, behandelt. Kein Ansprechen in Englisch, kein "Welcome to Egypt".
    Ich wurde besonders von Männern mit mehr Respekt behandelt. Denn Kopftuch heißt ja nicht nur Haar bedecken, sondern Körper unberührt und ungesehen (Kopftuch und Kurzarm-T-Shirt geht eben nicht zusammen). Man setzt also hohe moralische Standards an sich selbst und an die Männerwelt. Es gibt trotzdem noch blöde Anmache und Kommentare, aber eben weniger, leiser und nicht über einen bestimmten Punkt hinaus.
    Was mich vielleicht am meisten gewundert hat in dieser Zeit ist, das es für mich gar nicht komisch oder ungewohnt war. Bereits nach wenigen Tagen war es ein selbstverständlicher Teil von mir, ein Automatismus oder ein Teil meiner Identität als Frau, die in Ägypten lebt? Ich fand eher den Gedanken, es abzunehmen, komisch. Und das nach so kurzer Zeit. Wenn ich mir also vorstelle, ich bin ein ägyptisches Mädchen von ca. 11 Jahren, bald kommt das Alter indem ich mich für oder gegen das Kopftuch entscheide. Allmählich tragen alle meine Freundinnen das Kopftuch. Da möchte ich das doch auch, ob ich im religiösen Sinne davon überzeugt bin oder nicht. Und siehe da - ich habe dadurch direkt den Status einer Frau, einer ehrenwerten Frau zudem.
    Es zeigt, wie sehr unsere Gewohnheiten, unsere Praxis nicht von unserem persönlichen Stil abhängt, sondern zu einem großen Grad vom "Blick der anderen", von unserer Umgebung. Von dem, was wir und Leute um uns herum als "normal" empfinden und bewerten.
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Den sogenannten "Spanish-Style", den sie auf dem zweiten Bild trägt, trage ich übrigens auch des öfteren mal so in der Art - zumindest habe ich das Im Frühling und Sommer gern gemacht.
Ich finde es schon irgendwie krass, wie sehr sich die Reaktionen und das Verhalten der Leute ihr gegenüber geändert haben, nachdem sie das Kopftuch aufgesetzt hat. Sie war nun plötzlich nicht mehr die Ausländerin ohne Kopftuch - und als solche auch mehr oder weniger Freiwild für die Männer - sondern eine von Ihnen, die mit Respekt und genauso wie alle anderen behandelt wurde. Und das alles nur wegen eines Stück Stoffs und der Art sich zu kleiden. Sie war plötzlich, wie sagt man so schön - angekommen und wurde von den anderen ganz selbstverständlich als Ägypterin oder Ausländerin, die schon länger dort lebt angenommen.
Ziemlich krass fand ich natürlich den Kommentar ihrer Freundin:
Im Gespräch über das Kopftuch fand sie das Experiment nicht so gut. Ich fragte sie, was sie denke, wenn sie Frauen mit Kopftuch sähe, sie sagte: "Sie tun mir leid." Die Antwort fand ich krass, besonders von einer Islamwissenschaftlerin. Sie denke, dass die Frauen das nicht freiwillig trügen, sondern dazu gezwungen würden. Natürlich hatte sie noch nie mit Frauen mit Kopftuch darüber geredet. Sie meinte, sie könne nicht verstehen, warum in Deutschland lebende Musliminnen das Kopftuch nicht abnähmen. Ok, fragte ich, warum setzt du denn keins auf, wenn du hier in Kairo lebst? Antwort: Warum sollte ich?
Alles klar...
Ich meine, das sie das Experiment nicht so gut fand ist ja noch okay, da kann ja jeder seine eigene Meinung zu haben, aber das eine Islamwissenschaftlerin über Frauen mit Kopftuch sagt, daß sie ihr leid tun und denkt das die Frauen es nicht freiwillig tragen, sondern dazu gezwungen würden ohne je mit Frauen mit Kopftuch darüber geredet zu haben. Ich würde sagen, da hat sie ihr Fachgebiet ein wenig verfehlt.
Aber der Hammer ist irgendwie, daß sie einerseits nicht verstehen kann, das muslimische Frauen das Kopftuch in Deutschland nicht einfach abnehmen - es quasi sogar verlangt, dass sie es tun Aber auf die Frage warum sie denn keins trägt, wenn sie doch in Kairo lebt nur antwortet, warum sollte ich.
Ich weiß ja nicht, wenn ich für längere Zeit in einem muslimischen Land leben würde, wo ich als Ausländerin kein Kopftuch tragen müßte und auch unbedeckt gehen könnte, dann würde ich es wahrscheinlich trotzdem tragen, schon allein aus Respekt und Höflichkeit, der anderen Kultur und den Landessitten gegenüber - aber wohl auch um nicht so als Ausländerin und Touristin aufzufallen.
Ich denke allerdings mal, wenn eine Muslima hier in Deutschland ihr Kopftuch einfach mal für ein paar Wochen abnimmt und sich Jeans und Pullis anzieht, dann wird sie wahrscheinlich ähnliche Erfahrungen machen, wie Victoria, die in Kairo einfach ein Kopftuch aufgesetzt hat.
Wenn man darüber mal so nachdenkt, dann ist das schon fast irgendwie ein bißchen traurig - warum muß immer alles mit Gruppenzwang verbunden sein? Warum wird man nur anerkannt, wenn man das macht, was die breite Masse macht und gut findet: Warum kann nicht einfach jeder sein Ding machen und wird dafür dann trotzdem toleriert und akzeptiert - es sollte doch kein Problem sein, wenn sich jeder so kleidet, wie er es gern möchte - Kopftuch hin oder her.
Ich finde es auf jeden Fall toll, wie unvoreingenommen Victoria an dieses Experiment herangegangen ist und wie selbstverständlich es für sie schon nach ein paar Tagen war, Kopftuch zu tragen
Was mich vielleicht am meisten gewundert hat in dieser Zeit ist, das es für mich gar nicht komisch oder ungewohnt war. Bereits nach wenigen Tagen war es ein selbstverständlicher Teil von mir, ein Automatismus oder ein Teil meiner Identität als Frau, die in Ägypten lebt? Ich fand eher den Gedanken, es abzunehmen, komisch. Und das nach so kurzer Zeit.
Ich mag ihre Einstellung und ihre Gedanken dazu - ähnlich geht es mir auch, auch wenn in Deutschland und nicht in Ägypten lebe.
Wenn ich mir also vorstelle, ich bin ein ägyptisches Mädchen von ca. 11 Jahren, bald kommt das Alter indem ich mich für oder gegen das Kopftuch entscheide. Allmählich tragen alle meine Freundinnen das Kopftuch. Da möchte ich das doch auch, ob ich im religiösen Sinne davon überzeugt bin oder nicht. Und siehe da - ich habe dadurch direkt den Status einer Frau, einer ehrenwerten Frau zudem.
Das fand ich ganz besonders interessant - so habe ich das noch gar nicht gesehen, aber damit hat sie sicherlich recht: Das sich in muslimischen Ländern viele junge Frauen und Mädchen dazu entscheiden ein Kopftuch zu tragen, liegt sicher oft auch nicht nur an der Religion alleine - es ist auch so ein wenig der Gruppenzwang, die Vorbildfunktion andere Frauen und gleichaltriger Freundinnen, das zu tun und sich so zu kleiden, wie es eben in der Gesellschaft als "normal" erachtet wird. Das wird wohl auch der Grund sein, das sich hier viele junge Türkische und arabische Frauen gegen das Kopftuch entscheiden - weil es hier eben eher "normal" ist unbedeckt zu sein. Und wenn sie es tragen, dann steckt oft schon eine tiefe Verbundenheit mit der eigenen Religion dahinter - oder der Wunsch überhaupt irgendwo dazu zu gehören - oder eben auch eine sehr traditionsbewußte Familie.
Wobei man bei letzterem allerdings wieder ein wenig differenzieren muß - ich bin grundsätzlich dagegen, wenn Frauen dazu gezwungen werden das Kopftuch zu tragen - wenn es allerdings für sie okay ist, das die Familie das von ihr fordert und sie sich darin fügt und es trägt und das auch gerne macht um ihrer Familie einen Gefallen zu tun und sich wohl damit fühlt, dann ist das wieder irgendwo was anderes.
Wie dem auch sei, wichtig ist, das man sich mit dem was man macht und der Kleidung die man trägt wohl fühlt.

Samstag, 24. November 2012

[Kopftuch-Experiment / Selbstversuch] Die Welt unter dem Kopftuch. Ein Selbstversuch

Hallo meine Lieben,

habe hier mal wieder eine Geschichte zum Thema "Kopftuch-Experiment / Kopftuch tragen im Selbstversuch" oder wie auch immer gefunden. Die Geschichte oder besser gesagt der Erfahrungsbericht ist wirklich sehr gut geschrieben, so daß ich ihn Euch nicht vorenthalten möchte. Besonders interessant finde ich ihre Gedanken dazu. 

So ähnlich ging es mir am Anfang auch - also damals, wie ich mein Langzeit-Experiment gemacht habe, aber da ich von Anfang an vor hatte es einmal für längere Zeit zu tragen, mußte ich damit irgendwie klar kommen - was mir dann auch gelang. Man findet irgendwann seinen eigenen Weg und seine eigenen Ansichten dazu.
Jetzt aber erstmal der Kopftuch-Selbstversuch Bericht von Anna Magdalena - wenn man auf die Überschrift klickt, kommt man zur Originalseite. 
Im Anschluß hab ich noch ein paar eigene Gedanken dazu niedergeschrieben.


Erziehungskunst – Waldorfpädagogik heute: Die Welt unter dem Kopftuch. Ein Selbstversuch

Von Anna Magdalena Claus, Juli 2012


Wie sieht die Welt unter dem Kopftuch aus? Eine Schülerin der Uhlandshöhe hat es ausprobiert.
Jetzt, wo es schon so warm ist, habe ich Lust, alle meine Sommerkleider auf einmal an zuziehen. Das Warten hat endlich ein Ende und die Menschen zieht es in die Parks und Cafés. Mit dem Anziehen meiner kürzesten Hosen muss ich aber noch einen Tag warten. Nicht weil das Wetter schlecht ist, sondern weil mir heute ein Selbstversuch mit dem Kopftuch bevorsteht.
Wenn die meisten Menschen viel Haut zeigen, fallen mir die kopftuchtragenden Muslima besonders auf. Wie fühlt sich das Tragen eines Kopftuchs an? Ist es nicht sehr heiß? Das und mehr möchte ich heute herausfinden. Ich werde also mein »Tuch tief über mich ziehen«. (»Sie sollen ihre Tücher tief über sich ziehen. Das ist besser, damit sie erkannt und nicht belästigt werden«, Sure 33, Vers 60). So »verkleidet« werde ich mich durch Stuttgart bewegen, U-Bahn fahren, essen gehen, einkaufen, über den Wasen schlendern. Was aber erwarte ich von diesem Experiment? Erwarte ich offenes Unverständnis oder betonte Toleranz? Wie werde ich mich fühlen? Eingeschränkt, frei, exotisch?
Ich versuche gar nichts zu erwarten, mit unvoreingenommenen Blick den Tag zu beobachten. Dass das unmöglich ist, merke ich sehr schnell.
Ich sitze in der U-Bahn und kann die Fahrt zum Charlottenplatz nicht wie sonst entspannt genießen. Jeder meiner Blicke bekommt Bedeutung, jede Handlung, Geste, Bewegung wird von mir kontrolliert. Ich komme mir vor wie eine Mogelpackung. Auf meinem Etikett steht Dattel, aber eigentlich bin ich ein deutscher Kohlkopf. Diese erschwindelte Zugehörigkeit, die ich automatisch mit meinem rosafarbenen Kopftuch eingehe, wird mich den ganzen Tag beschäftigen und in prekäre Situationen bringen.
Soll ich wie sonst Blickkontakt zu anderen Menschen suchen? Darf ich lächeln? Die wichtigste Frage aber: Warum mache ich mir darüber so viele Gedanken?
Ich gehe davon aus, dass jede meiner Handlungen von den Mitmenschen genauestens wahrgenommen wird und stellvertretend für andere Muslime gilt. Mit meiner Kopfbedeckung repräsentiere ich angeblich eine Weltreligion, vielleicht ist es das, was mich unter Druck setzt. Dabei kann ich nicht einmal sagen, ob ich mit besonderer Aufmerksamkeit gemustert werde. Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob ich nicht nur für mein eigenes Tun verantwortlich bin, sondern darüber hinaus für viele muslimische »Gleichgesinnte«. Was für ein ungewöhnliches Gefühl! Nicht die individuelle Persönlichkeit steht im Vordergrund, sondern die Religionsgemeinschaft. Was für ein vertrauensvolles und Sicherheit gebendes Gefühl auf der einen Seite, was für eine Einschränkung und gefühlte Machtlosigkeit auf der anderen.
Ich komme am Charlottenplatz an und spaziere anschließend über den Schlossplatz. In einem Café bestelle ich mir gerade ein Tiramisu, als der sympathische Kellner mich dezent darauf aufmerksam macht, dass Gelatine im Tiramisu enthalten sei. Er sagt: »Ich bin auch Moslem, deswegen sag ich dir Bescheid. Sei mir deshalb nicht böse.« Die Situation beginnt mir unangenehm zu werden, als er sich bei mir erkundigt, ob ich Türkin sei. »Nein«, antworte ich, »aber meine Mutter«. Der Kellner lächelt und macht mir ein Kompliment. Ich lächle geschmeichelt zurück, möchte aber am liebsten sofort aufstehen und gehen. Die Lüge macht mir ein schlechtes Gewissen. Ich komme mir falsch vor, ich betrete ein Gebiet, wo ich nicht hingehöre. Ich habe mir zwar vorgenommen, von meinem Experiment zu erzählen, wenn ich auf mein Kopftuch angesprochen werde, im Fall des muslimischen Kellners kommt mir diese Auflösung aber sehr unpassend vor. Immer deutlicher wird mir klar, dass diese Kopftuch-Erfahrung, die ich mache, nahezu nichts mit dem Alltag kopftuchtragender Frauen in Stuttgart zu tun hat. Das zu behaupten, wäre meiner Meinung nach anmaßend.
Ich verlasse das Café und schlendere durch die Königsstraße Richtung Hauptbahnhof. Ich betrete verschiedene Läden und habe trotz der schönen Sommerkleider (die ich auch wirklich brauchen könnte), keine Lust, sie anzuprobieren. Mit dem Kopftuch wäre mir das zu kompliziert, ich bin froh, dass es, ohne zu verrutschen, um meinen Kopf gehüllt bleibt, obwohl es mir darunter sehr warm wird. An die Hitze müsste ich mich also gewöhnen, hätte ich die Entscheidung gefällt, von nun an für immer in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Man muss sich daran gewöhnen wie an das Tragen unbequemer hoher Schuhe oder String-Tangas. Ausnahmsweise muss ich mich überwinden, über das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen zu schlendern. Ich komme mir fehl am Platz vor und freue mich über jede der drei kopftuchtragenden Frauen, die mir begegnen. Trotzdem würde ich am liebsten gleich wieder nach Hause fahren. Aber ich motiviere mich, indem ich mir am Schießstand fünf Schuss für zwei Euro leiste, der Inhaber bedient mich muffig und desinteressiert. Für meine fünf abgeschossenen Keramiksterne erhalte ich einen pinkfarbenen Plüsch-Würfel, passend zu meiner Kopfbedeckung. Nach einem unspektakulären Abstecher ins Bierzelt, in dem ich ignoriert werde, trete ich meinen Heimweg an und freue mich auf den Moment, in dem ich mein Kopftuch ausziehen kann.
Zu Hause angekommen, ziehe ich nicht nur mein Kopftuch aus, sondern streife gleich ein fremdes Gefühl mit ab. Wie der Alltag für kopftuchtragende Frauen in Stuttgart aussieht, werde ich auf diesem Weg wohl doch nicht erfahren.
Die Autorin ist Schülerin der 13. Klasse an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart



Das sie auf diesem Wege nicht erfahren wird, wie der Alltag Kopftuchtragender Frauen aussieht und das ihre Kopftuch-Erfahrung nahezu nichts mit dem Alltag Kopftuchtragender zu tun hat, finde ich durchaus eine richtige Einschätzung von ihr. Das zu behaupten wäre in der Tat anmaßend.
Ein Tag mit Kopftuch mag zwar ausreichend sein um zu sehen, wie es sich anfühlt Kopftuch zu tragen, wie man sich selbst damit fühlt und wie es ist damit unter Leuten unterwegs zu sein, aber die großen und kleinen Probleme des Alltags und die Vor- und Nachteile im Alltag lernt frau doch erst kennen, wenn sie es länger trägt - so drei, vier Tage oder eine ganze Woche sollte es dann schon sein, wenn man da wirklich einen Einblick und auch einen Eindruck von bekommen will.
Man kann es mit einer Großstadt voller Sehenswürdigkeiten vergleichen - da reicht ein Tag auch nicht aus um sich alles anzusehen und alles zu entdecken, da muß man sich auch ein paar Tage Zeit für nehmen.
Als ich das Kopftuch damals zuerst auch nur in meiner Freizeit an Wochenenden und in den Ferien getragen habe, waren die Eindrücke und Empfindungen ganz andere, als zu der Zeit, wo ich mein Experiment gestartet habe und es dann über eine längere Zeit, jeden Tag von Morgens bis Abends auch in meinem normalen Altag getragen habe.
Ich gehe davon aus, dass jede meiner Handlungen von den Mitmenschen genauestens wahrgenommen wird und stellvertretend für andere Muslime gilt. Mit meiner Kopfbedeckung repräsentiere ich angeblich eine Weltreligion, vielleicht ist es das, was mich unter Druck setzt.    [...]  Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob ich nicht nur für mein eigenes Tun verantwortlich bin, sondern darüber hinaus für viele muslimische »Gleichgesinnte«. [...] Nicht die individuelle Persönlichkeit steht im Vordergrund, sondern die Religionsgemeinschaft. Was für ein vertrauensvolles und Sicherheit gebendes Gefühl auf der einen Seite, was für eine Einschränkung und gefühlte Machtlosigkeit auf der anderen.
Das was sie hier beschreibt, habe ich so noch nie empfunden, aber das ist wohl eher eine Kopfsache und das mag jeder individuell anders sehen. Da ich das Kopftuch (und die dazugehörige Mode) weder als religiöses, noch als politisches Symbol sehe, sondern eher als ein Accesoire (und einen Modestil), den jede Frau tragen kann - wenn sie es denn möchte - fühle ich mich mit dem Kopftuch auch nicht wie jemand, die nun gerade eine Weltreligion repräsentiert, oder repräsentieren will.
Ich finde, das ich hauptsächlich für mein eigenes Tun verantwortlich und auch steht für mich immer meine eigene individuelle Persönlichkeit im Vordergrund.
Dennoch habe ich immer im Hinterkopf, dass mich meine Umwelt, sprich meine Mitmenschen ja vom äußeren Erscheinungsbild schon als Muslima wahrnehmen und deswegen versuche ich mich auch dementsprechend zu verhalten und zu benehmen. Dazu fühle ich mich irgendwie verpflichtet, nicht weil ich nun doch eine Weltreligion repräsentiere, die Religionsgemeinschaft (der ich gar nicht angehöre) im Vordergrund steht oder ich mich mit meinem Tun für andere Muslimas verantwortlich fühle. Ich möchte halt einfach auffallen, oder gar, das jemand einen schlechten Eindruck von mir bekommt, denn dann heißt es gleich wieder "Guck mal diese Muslimas mal wieder,..." und das will ich nicht, denn das würde ich für mich selbst unverzeilich finden - schließlich sind das Kopftuch, das Outfit und meine Art zu Leben mit seinen Regeln und Grundsätzen nur "geborgt" - und was bringt es mir persönlich, wenn ich die, von denen ich mir das geliehen habe in einem schlechten Licht da stehen lasse? Richtig: Gar nichts (außer einem schlechten Gewissen). Von daher versuche ich immer unauffällig zu bleiben und anderen gegenüber stets nett, höflich und zuvorkommend zu sein - und das hat mich bisher auch immer weiter gebracht.
Sicher ist es schon irgendwie ein vertrauensvolles und Sicherheit gebendes Gefühl, wenn man für andere augenscheinlich einer so großen Gemeinschaft angehört, aber das man sich deswegen nun so machtlos fühlt?! Ich weiß ja nicht.
Einschränken tut es einen aber doch schon ein wenig und zwar ist man, zumindest, wenn man nicht unangenehm auffallen will. Die Leute, insbesondere Mitmenschen muslimischen Glaubens erwarten, wenn man wie eine Muslima gekleidet ist nun mal ein bestimmtes Verhalten und bestimmte Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit von einem. Und so ist man dann doch an die Regeln gebunden, die für muslimischen Frauen gelten und ist da schon ein wenig drauf limitiert, sich daran halten und danach handeln zu müssen. Wobei das widerum nicht so schlimm ist, wenn man sich dessen bewußt ist und man auch gern danach handeln will.
"Es ist als ob einen das Kopftuch ständig daran erinnert und dazu mahnt den Blick zu senken, wenn man von einem Mann angesehen wird." So ähnlich hat es mal in einem anderen Bericht über so ein Experiment gestanden und in der Tat ist es auch irgendwie so: man wird halt ständig daran erinnert sich "richtig" zu verhalten. So wäre es zum Beispiel für mich persönlich undenkbar so gekleidet meine Liebste in der Öffentlichkeit zu küssen. Hand in Hand oder auch Arm in Arm zu gehen ist da gerade noch vertretbar - allerdings hat sie da auch Verständnis für.

FAZIT: Als Abschluß kann ich dazu nur sagen, daß es schwer ist zu beschreiben und zu berichten, wie es ist Kopftuch zu tragen. Das empfindet jede mit Sicherheit ganz individuell anders. Einige werden es toll finden und andere vielleicht eher beklemmend oder bedrückend.

Wer wirklich wissen will, wie das so ist, der muss es selbst ausprobieren und darf da auch keine Angst vor haben, denn den meisten Leuten ist es relativ gleichgültig. Außerdem kann man es ja, zumindest als "Testerin" jederzeit abnehmen und ist wieder ganz "normal".
Fakt ist allerdings: ein nachmittag oder ein Tag mag reichen um zu sehen, wie es sich anfühlt es zu tragen und wie man sich damit fühlt - auch wie es ist damit unter Leuten zu sein - aber um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie der Alltag damit aussieht, muß man es schon etwas länger tragen, drei, vier Tage, eine ganze Woche oder länger. Zumal dann auch erst die anfängliche Unsicherheit verschwindet und man sich selbst mit dem Kopftuch dann ganz anders wahrnimmt.
Und wenn man so etwas ausprobiert, dann hat man immer noch einen Vorteil: man kann jederzeit wieder zurück und es, wann immer man will, wieder abnehmen und den Versuch beenden. Eine Muslima kann das nicht so ohne weiteres - nicht weil sie dazu gezwungen werden, das ist in den wenigsten Fällen so, aber die meisten fühlen sich halt auf Grund ihres Glaubens dazu verpflichtet es zu tragen, wenn sie sich einmal dafür entschieden haben es zu tragen. 
Ich könnte es auch jederzeit wieder ablegen - wenn ich es denn wollte. Es zwingt mich nichts dazu es zu tragen - auch wenn ich mich mittlerweile auf Grund dessen, daß ich es schon so lange trage auch ein wenig dazu verpflichtet fühle es weiter zu tragen. Und nicht zuletzt wird es auch schon förmlich von mir erwartet, daß ich es trage - man kennt mich so, man akzeptiert mich so und man mag mich so.
Es würde wahrscheinlich Wochen dauern, bis ich auch dem letzten erklärt habe, warum ich es wieder abgelegt habe und wahrscheinlich noch länger, bis sich alle dran gewöhnt habe, dass ich das Kopftuch nicht mehr trage und man mich wieder ohne sehen kann...
Aber ich könnte damit aufhören, wenn ich wollte,... ;)

Nur dazu finde ich es nach wie vor einfach zu schön.